TH:Landesparteitag 2011.2/Antragsfabrik/Polizeiaufgabengesetz

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Version vom 28. September 2011, 20:44 Uhr von Hendrik (Diskussion | Beiträge)

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Pictogram voting wait blue.svg Dies ist ein eingereichter Programmantrag für den TH:Landesparteitag 2011.2 von Frank11.

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Änderungsantrag Nr.
PÄA.Polizeiaufgabengesetz.1
Beantragt von
[[Antragssteller::Frank11]]
Programm

Wahlprogramm/Parteiprogramm

Schlagworte Pro
Schlagworte Contra
Beantragte Änderungen

Hiermit stelle ich an den Landesparteitag den Antrag, in das Parteiprogramm der PIRATEN Thüringen nachfolgenden Abschnitt aufzunehmen:

Die PIRATEN Thüringen fordern die längst überfällige Überarbeitung und Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes (PAG).

Das PAG enthält zahlreiche Regelungen zur Zulässigkeit und Durchführung von Datenerhebungen aller Art, insbesondere auch personenbezogener Daten (automatisierte Kennzeichenerfassung, visuelle Beobachtungen, Überwachung der Telekommunikation, Überwachung durch "Wanzen", versteckte Kameras, verdeckte Ermittler und V-Leute). Bereits seit 2009 ist gegen das PAG eine Verfassungsbeschwerde beim Thüringer Verfassungsgerichtshof anhängig.

Die PIRATEN Thüringen halten eine Überarbeitung des PAG für dringend erforderlich, weil

  • einzelne Regelungen des PAG von Juristen als verfassungswidrig eingeschätzt werden;
  • die Bespitzelung von Personen und Berufen ermöglicht wird, deren Tätigkeit mit einer besonderen Vertraulichkeit und Verschwiegenheit gegenüber den Belangen von Privatpersonen einhergeht,insbesondere von Rechtsanwälten, Notaren, Ärzten, Psychotherapeuten, Beratern, Hebammen usw.;
  • die im Gesetz ansatzweise vorgesehene Prüfung auf Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen weder näher definiert, noch genau dokumentiert wird und keinen wirklichen Schutz der Bürger vor gravierenden Eingriffen in die Privatsphäre bietet;
  • der vom Bundesverfassungsgericht "absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung" durch einzelne Passagen aufgeweicht und verfassungswidrig eingeschränkt wird;
  • die vorgesehenen Dokumentations- und Informationspflichten im Hinblick auf die getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen - wenn überhaupt vorhanden - völlig unzureichend sind;
  • insbesondere die automatisierte Kennzeichenerhebung und der damit verbundene Datenabgleich bei Bürgern, die von vornherein als unbescholten gelten müssen, abzulehnen sind;
  • die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung, die die Unzulässigkeit einer solchen Datenerhebung zur allgemeinen Gefahrenabwehr betont, nicht beachtet wird;
  • die vorgesehene "Datenerhebung mit besonderen Mitteln" einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und in den Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt und in der im PAG enthaltenen Form abzulehnen ist;
  • die Benachrichtigungspflichten für Betroffene aufgeweicht werden.

Durch das PAG in der jetzigen Form werden Bürger zu mehr oder weniger willkürlichen Objekten staatlichen Handelns degradiert, gegen das sie kaum Möglichkeiten haben sich zu wehren. Die auf eine angeblich globale terroristische Bedrohung abzielenden erweiterten Regelungen entbehren jeder realen Grundlage, sind nicht geeignet, mehr Sicherheit gegenüber kriminellen Handlungen herzustellen und schränken Freiheits- und Bürgerrechte unnötig ein. Demgegenüber werden Dokumentationspflichten, Information der Öffentlichkeit und parlamentarische Kontrolle so gering wie möglich gehalten. Die bisherigen Ermittlungsinstrumente von Polizeibehörden reichen völlig aus, um Straftaten aufzuklären und akute Gefahrenlagen zu erkennen und abzuwehren. Die PIRATEN Thüringen lehnen daher das PAG in der gegenwärtigen Form ab und fordern die Landesregierung auf, die anhängende Verfassungsbeschwerde zu behandeln und das Gesetz so schnell wie möglich zu überarbeiten.

Begründung

PAG § 5 Abs.(3) regelt die Unzulässigkeit bestimmter Maßnahmen der Datenerhebung gegenüber bestimmten Personen, Berufen und Tätigkeiten wie Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten. Die Beschränkung dieser Regelung auf die in § 53 Abs.(1) Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung (StPO) genannten Personen, Berufe und Tätigkeiten erlaubt damit explizit die uneingeschränkte Bespitzelung von Rechtsanwälten (soweit sie nicht als Strafverteidiger auftreten), Patentanwälten, Notaren, Wirtschaftsprüfern, vereidigten Buchprüfern, Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten, Ärzten, Zahnärzten, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apothekern und Hebammen, Beratern nach dem Schwangeschaftskonfliktgesetz, Beratern für Fragen einer Betäubungsmittelabhängigkeit und Journalisten, sowie jeweils deren Mitarbeitern (gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 StPO) - lediglich unter dem Vorbehalt einer jederzeit konstruierbaren und willkürlichen "auf bestimmte Tatsachen gestützten dringenden Gefahr". Die genannten Personen und Berufe üben jedoch alle Tätigkeiten aus, deren wesentliches Merkmal in einer besonderen Vertraulichkeit und Verschwiegenheit gegenüber den Belangen von Privatpersonen besteht und daher als besonders schützenswert gegenüber staatlichen Eingriffen erscheinen.
Eine Kontrolle der Datenerhebungsaktivitäten der Ermittlungsbehörden ist mangels Festlegungen zu Pflichten der Dokumentation und Information kaum möglich. Es ist nicht zu erwarten, dass Ermittlungsbeamte Maßnahmen "im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit" unterlassen, die ihnen einen Erkenntnisgewinn in einer bestimmten Sache versprechen. Es ist dagegen eher zu befürchten, dass diese Maßnahmen - als Möglichkeit einmal eingerichtet - auch beliebig angewendet werden, ohne sich dafür noch rechtfertigen zu müssen.

PAG § 5 Abs.(7) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Grossen Lauschangriff (BVerfG, 1 BvR 2378/98 vom 3.3.2004) einen "absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung" definiert, der aufgrund der "Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG" von Überwachungseingriffen freizuhalten ist. Im o.g. Abschnitt des PAG wird dieser Kernbereich auf unzulässige Weise eingeschränkt und versucht, die uneingeschränkte, lediglich an der Würde des Menschen ausgerichtete Definition des Kernbereichs aufzuweichen. Diese Einschränkungen sind daher als verfassungswidrig zu betrachten.
Dies trifft auch auf den §34b Abs.(1) zu, der eine Unzulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen nur dann vorsieht, wenn "allein" - also nur - Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden. Dies ist in der Praxis unwahrscheinlich bzw. unpraktikabel und öffnet Überwachungsmaßnahmen Tür und Tor. Es gibt keine Dokumentationspflichten bezüglich einer Entscheidung, ob der Kernbereich nun allein betroffen ist oder nicht. Diese Entscheidung kann bei automatisierter Datenaufzeichnung (was der Normalfall sein dürfte) erst im nachhinein getroffen werden, d.h. wenn der Kernbereich u.U. bereits verletzt wurde oder durch die Auswertung der im Ganzen aufgezeichneten Daten per se verletzt wird.

§ 32 Abs.(1) / § 34a Im Hinblick auf die Erhebung personenbezogener Daten im Bereich der Telekommunikation zur Strafverfolgung wird von den Verfassungsbeschwerdeführern bestritten, dass Thüringen in diesem Bereich überhaupt eine Gesetzgebungsbefugnis hat, da Bundesrecht vorgeht. Ausserdem wird hier die vorsorgliche Beschaffung von Daten erlaubt, d.h. die Datenerhebung ohne konkreten Anlass, "zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten", "wenn dies erforderlich ist". Mit solchen dehnbaren Formulierungen werden die Bürger der Datensammelwut von staatlichen Behörden schutzlos ausgeliefert und haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen wirksam zu wehren.

PAG § 33 Abs.(7) sieht die Möglichkeit der automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenerhebung an Kontrollstellen und den diesbezüglichen Datenabgleich und die Zwischenspeicherung der gewonnenen Daten vor. Diese Form der Datenerhebung ist grundsätzlich abzulehnen, da hier unbescholtene Bürger im Normalfall ohne jeden Anlaß einer Überwachung und Datenspeicherung unterworfen werden. Im entsprechenden Abschnitt fehlen zudem Angaben zum Speicherort, zu Speicherfristen oder zur Löschung. Die verwendete Formulierung "Daten nutzen" kann alles und nichts bedeuten.

PAG § 34 sieht im Hinblick auf die dort zur Verfügung gestellten Methoden einer "Datenerhebung mit besonderen Mitteln" schwere Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht vor. Dabei gibt es keinen Hinweis auf den durch das BVerfG garantierten Schutz des bereits erwähnten persönlichen Kernbereichs. Die Rechtfertigung solcher Methoden durch das Ziel der Verhinderung ausgedehnter Straftatsbestände - letztendlich fast jeder Straftat - bildet einen Freibrief für diese besonders schwerwiegenden Eingriffe in die Privatsphäre von Bürgern und ist als äußerst kritisch einzuschätzen.

PAG § 34 / § 35 jeweils Abs.(9) sieht als Kontrollmaßnahme lediglich eine Unterrichtung des Landtags und eine parlamentarische Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission vor. Dies ist jedoch nicht wirklich geeignet, die Öffentlichkeit ausreichend über die durchgeführten Maßnahmen zu informieren und begünstigt Verschleierung und Vertuschung. Besser wäre ein der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellter Bericht über die Zahl, die Begründungen und vor allem den Erfolg der durchgeführten Datenerhebungen. Eine Einsichtnahme oder ein diesbezügliches Anhörungsrecht für den Landesbeauftragten für Datenschutz ist nicht vorgesehen.

PAG § 34 Abs.(9) Satz 1, 5 und 6 In der gängigen Rechtsprechung wird betont, dass Personen, die von heimlichen Ermittlungen bedroht sind - soweit möglich - ein Recht auf Information zusteht, da sie sich sonst nicht gegen diese Maßnahmen mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren können (entsprechend Art. 19 Abs. 4 GG (Gewährung effektiven Rechtsschutzes) und Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör). O.g. Regelungen halten unzulässige Hintertüren für diese Benachrichtigungspflicht offen und werden von den Verfassungsbeschwerdeführern für verfassungswidrig gehalten.

PAG § 40 Abs.(4) sieht unter bestimmten Voraussetzung die Speicherung personenbezogener Daten ohne Anonymisierung für Ausbildungszwecke vor: "Die personenbezogenen Daten sind zu anonymisieren. Einer Anonymisierung bedarf es nicht, wenn diese dem Aus- und Fortbildungszweck entgegensteht und die berechtigten Interessen des Betroffenen an der Geheimhaltung der Daten nicht offensichtlich überwiegen." Da sich Bürger gegen diese nicht näher bezeichnete Verwendung ihrer Daten nicht wehren können, ist diese grundsätzlich abzulehnen.

PAG § 44 Siehe die Entscheidung des BVerfG zur Rasterfahndung (1 BvR 518/02), danach ist es unzulässig, Daten zum Zwecke der allgemeinen Gefahrenabwehr zu sammeln. Die Erhebung und Speicherung von Daten zur Bekämpfung allgemeiner Gefahren bei bestimmten Ereignissen ist verfassungswidrig. Der im PAG desöfteren angegebene Anlaß einer konkreten Gefahr ist zu bezweifeln.

Links/Quellen/Urteile:

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: [1]
  • Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG -) vom 4. Juni 1992: [2]
  • BVerfG Entscheidung zum Grossen Lauschangriff: [3]
  • BVerfG Entscheidung zur Rasterfahndung: [4]
  • Informationen zur Verfassungsbeschwerde gegen das PAG: [5]
  • ausführlichere Erläuterungen zur Verfassungsbeschwerde: [6]
  • Pressemitteilung des Thüringer Anwaltsverbands zur Verfassungsbeschwerde: [7]
  • Pressemitteilung des Thüringer Anwaltsverbands zur Verfassungswidrigkeit automatischer Kennzeichenerfassung: [8]


Unterstützung / Ablehnung

Piraten, die vrstl. FÜR diesen Antrag stimmen

  1. Frank11
  2. timo.richter
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Piraten, die vrstl. GEGEN diesen Antrag stimmen

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Piraten, die sich vrstl. enthalten

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